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Die Schulfreundin - eine Groteske
Bei Vollmond spuckte die Leere seines Daseins Schattenfelder aus, die gegen Morgen vor den Hähnen flohen. Gedanken an alte Tage durchwehten die staubigen Spinnenweben seines Dachstuhls. Er hatte eine alte Schulfreundin zu sich auf den verfallenen Gutshof eingeladen. Freudig tanzte er mit seinen dünnen haarigen Beinen über das Gebälk. Dann ließ er sich, in einer frischen Brise baumelnd, auf den Heuboden herab und bereitete im knisternden Stroh das Liebesnest. Nach Sonnenaufgang kam sein Nachbar vorbei, eine dunkle Gestalt in schmieriger preußischer Gardeuniform, grünen Augen und löchrigen Flügeln. Er hinkte ein wenig, weil er im Ersten Weltkrieg ein Bein verloren hatte.
„Hast du was vom Zimmermann gehört?“ fragte der Junker. „Mein Dachstuhl ist vom Holzbock befallen. Wir müssen in der Wilhelmstraße höhere Zuschüsse für unsere Güter durchdrücken. Und die Einfuhrzölle für Getreide müssen erhöht werden.“ Ohne eine Antwort abzuwarten, humpelte der Nachbar weiter, einfach über das Grundstück, ohne zu fragen, und verschwand im hüfthohen gelben Gras zwischen den vertrockneten Obstbäumen.
Nach dem ersten Frühstück kam seine Freundin. Er hatte zusammen mit ihrem Bruder das Arndt-Gymnasium in Dahlem besucht. In der Scheune empfing er sie aus taktischen Gründen. Daran, wie sie sich aufgeputzt hatte, merkte er, wie wichtig ihr das Rendezvous war. Sie hatte Lippenstift, Wimperntusche und Rouge aufgetragen und sich die Beine und Achseln frisch rasiert. Mit jeder Bewegung ihrer Hüften verteilte sich der Duft eines aphrodisierenden Parfüms. Nach einigen grazilen Schritten in ihren polierten Lackschuhen ging sie ihm ins Netz, das er im Morgengrauen gesponnen hatte. Die Fäden spannten sich unter ihrem Gewicht. Sie war seit ihrer gemeinsamen Zeit in den Tanzstunden noch voluminöser und weiblicher geworden.
„Du siehst bezaubernd aus,“ brachte er mit zittriger Stimme hervor.
„Ein sehr romantischer Ort für ein Stelldichein,“ gab sie zurück und kletterte langsam auf den Heuboden. „Warum vernachlässigst du dein Gut? Du hättest dich in eine Unternehmerfamilie einheiraten sollen. Hast du das Dach des Gutshauses noch immer nicht repariert?“ Sie tat so, als würde sie sich ihren Zopf zurechtbinden. Dann stürzte sie sich auf ihn. Zitternd vor Begierde hielt er sich an ihrem Bart fest. Nachdem sie ihn überwältigt hatte, lockte er ihre Aufmerksamkeit auf einige fette grüne Lokusfliegen, die er am Abend zuvor konserviert hatte.
„Lecker!“ schmatzte sie. Dann balancierte sie erneut auf ihn zu. Auf diesen Moment hatte er sich vorbereitet. Schnell versteckte er sich in einer Ritze im Mauerwerk, in die sie nicht hineinpasste. Wenn sie von Zeit zu Zeit einen ihrer grazilen Arme durch den Putz steckte, gab er ihr einen Handkuss.
„Komm raus!“ sprach sie mit süßer Stimme.
„Ich besuche dich übermorgen in Dahlem“, gab er zurück. Noch lange hörte er ihr Schnaufen vor seinem Versteck. Dann brummte sein Nachbar in den Hof und stieß beim Landen einen schrecklichen Fluch aus.
„Im Übrigen bin ich der Meinung, dass die Einfuhrzölle für Getreide erhöht werden sollten! Ich produziere auf meinem Gut einen Minderwert! Wo steckst du eigentlich? Ich klebe fest! Wir sind in einen Hinterhalt geraten! Wir werden in die Zange genommen! Verstärkung!“
Er vernahm einen Schrei und ein Knacken. Anschließend gieriges Schmatzen und Schlürfen begleitet von dumpfem Wimmern. Als er sich später aus seinem Versteck wagte, sah er im Hof die Reste der Gardeuniform, die er am Nachmittag zusammen mit dem Hausmüll verbrannte. -
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